Das dritte Mahl
Noch immer hält die Kreatur die Schule in ihrem Griff. Ganz besonders uns, die wir diesen riesigen Schemen im Kellergewölbe begegnet sind. War es ein Lehrer? Nein, dafür war die Gestalt zu groß! Was war es dann? Die Kreatur? Hat sie versucht, in die Schule einzudringen? Dieser Gedanke lässt uns nicht los und auch wenn wir es für gefährlich halten, wollen wir noch einmal nachsehen. Immerhin sind wir alle in Gefahr, wenn die Kreatur es in diese Mauern hineinschafft. Also gehen wir hinunter in das Kellergewölbe. Die vielen Tunnel und Räume, teils natürlichen Ursprungs, teils künstlich angelegt, erschaffen ein Labyrinth, in dem man sich leicht verirren kann. Vor allem, wenn es dunkel ist, aber wir wagen es nicht, Licht zu machen, aus Angst, etwas zu sehen oder selbst von etwas gesehen zu werden. Kurz bevor wir das Eisengitter erreichen, welches den Keller vor dem Eingang nahe des Waldes trennt, hören wir plötzlich Geräusche aus einem Seitengang. Eilig pressen wir uns gegen die Wand und halten den Atem an. Ist die Kreatur schon hier? Etwas ächzt, schnauft und als wir nicht länger den Atem anhalten können, saugen wir die Luft ein. Ein fauliger, blutiger Geruch steigt uns in die Nase und bringt uns fast zum Würgen. Hechelnd versuchen wir, mit Schatten und Wand zu verschmelzen, während Gestank und Lärm uns näherkommen. Unser Herz pocht so laut, dass die gesamte Schule wackeln müsste. Dann erscheint ein Licht um die Biegung des Tunnels neben uns und wir beruhigen uns, so weit dies in einem dunklen Gang möglich ist. Nein, die Kreatur würde kein Licht anmachen, da sind wir uns sicher. Es kann prima im Dunklen jagen! Aber wenn es nicht die Kreatur ist, was ist es dann? Wir sind neugierig und schleichen in den Tunnel hinein, bis um die Ecke schauen und zwei Gestalten sehen können. Menschliche Gestalten, in normaler Größe. Sie scheinen etwas zu tragen und als sie näherkommen, erkennen wir in ihnen zwei der Wächter, die diese Schule vor Gefahren schützen sollen. Sie ächzen vor Anstrengung und zerren an dem langen Sack zwischen ihnen. Von diesem rührt der üble Gestank und als die beiden Wächter ihre Last in einen Kellerraum bringen wollen, rutscht ein Arm zwischen den Lagen aus Plane hindurch und streift über den Boden. Selbst aus dieser Entfernung sehen wir, dass ein großes Stück aus dem Arm herausgebissen wurde. Der Knochen wirkt angenagt.
„Verdammt!“, flucht eine der Wachen und sie müssen anhalten, um den Arm wieder unter die Plane zu schieben. „Hätte das Viech nicht mehr fressen können? Dann hätten wir wenigstens weniger zu tragen…“
„Sag nicht so einen Mist! Es hätte dich treffen können… jeden von uns! Dieses Biest jagt uns wie Hasen…“, erwidert der Andere.
„Nur sollten wir die Jäger sein!“
„Sind wir aber nicht. Wenn das hier so weiter geht, dann… Tja, entweder die Direktorin räumt die Schule oder es wird bald keine Leute mehr geben, welche die Überreste verstecken können.“
„Irgendwann werden die Schüler merken, dass immer mehr Leute verschwinden. Sie wissen ja nur von den ersten beiden Opfern, aber das Viech hatte schon längst sein drittes Mahl.“
„Und immer noch Hunger…“, stimmt der zweite Wächter zu und sie heben den Leichensack wieder an und tragen ihn aus unserem Sichtfeld. Ein drittes Opfer? Vielleicht sogar schon mehr? Was wird uns noch verheimlicht? Die Zeit wird immer knapper, wenn wir unsere Schule noch retten wollen. Wir müssen wissen, was das für eine Kreatur ist, damit wir einen Plan entwerfen können, es zu besiegen! Wir kehren um, gehen weiter zum Eisentor. Die Angst weicht einem todesverachtenden Trotz. Noch wollen wir uns nicht geschlagen geben! Als wir die armdicken Gitterstäbe vor uns haben, sind wir erleichtert. Sie sind intakt. Wir rütteln an ihnen, aber nichts bewegt sich. Auf diesem Wege wird die Kreatur nicht in die Schule gelangen! Gerade als wir uns wegdrehen wollen, fällt uns etwas auf. Am Boden, dort wo der Stein des gemauerten Flurbodens endet und der erdige Grund beginnt, dort wo das Regenwasser sich sammelt und eine schlammige Pfütze hinterlässt, ist eine tiefe Delle. Aufgeregt gehen wir näher und beugen uns vor, soweit es die Gitterstäbe zulassen. Was ist das? Mit dem Arm passen wir durch das Gitter und legen vorsichtig unsere Hand neben dem Abdruck im Schlamm. Unser Gefühl sagt uns, dass es von der Kreatur stammt. Diese große Gestalt letztens… Sie war es also doch…
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Das dritte Mahl
The woods are lovely, dark and deep,
But I have promises to keep,
And miles to go before I sleep,
And miles to go before I sleep.
Robert Frost
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