Der erste Angriff
Es ist schon dunkel, als der schrille Schrei kurz, aber intensiv zu uns kommt. Wir wissen nicht, was oder wer es war, aber dass etwas passiert sein musste. Wir eilen die Stufen des Turms hinab und rennen in Richtung der Ostseite des Schulgeländes. Es ist viel zu dunkel, um etwas sehen zu können, weshalb wir langsamer werden. Noch ist es warm draußen und trotzdem nistet in uns eine Kälte, die uns eine Gänsehaut beschert. Selbst die magischen Außenlichter haben versagt, als würden sie nicht sehen wollen, was hier geschehen ist. War dort eben etwas? Unsicher drehen wir uns um uns selbst, versuchen, den dichten schwarzen Schleier mit unseren Blicken zu durchdringen. Vielleicht war es doch keine gute Idee, alleine hier hinunter zu kommen. Wir stolpern rückwärts durch die Dunkelheit. Unsere Füße fühlen sich schwer an, klebrig und jeder Schritt kostet uns Überwindung. Ein metallischer Geruch haftet in der Luft und legt sich als übelkeitserregender Pelz auf unsere Zunge. Wir hecheln, würgen und… mit einem Mal stößt unser Fuß gegen etwas Weiches auf dem Boden und wir bleiben angewurzelt stehen. Einige Sekunden stehen wir so, bis wir uns daran erinnern, dass wir in der Lage sind, Licht zu machen. Es mag ein kleiner Trick sein, aber wir benötigen mehrere Versuche, bis wir endlich eine kleine Kugel aus Licht erschaffen haben, die über unserer Handfläche schwebt. Oh, hätten wir uns doch lieber nicht an diesen Kniff erinnert! Nun offenbart sich die schaurige Szene und wir weichen japsend zurück. Vor uns liegt eine Gestalt auf dem Boden, welche die dunkle Uniform der Mystiker trägt. Das Gesicht können wir nicht sehen, dafür aber die Fußabdrücke, unsere Abdrücke, die wir in dem blutdurchtränkten Rasen hinterlassen haben. Immer weiter weichen wir zurück, gleichzeitig hören wir die Stimmen anderer Personen. Unser Licht lockt sie zu uns und ehe wir uns versehen, knien zwei Lehrer neben der verletzten Gestalt. Die blauen Funken eines Heilzaubers tanzen über den regungslosen Körper. Viele Funken sind es nicht…
„Was ist passiert?“, will ein anderer Lehrer von uns wissen, aber wir schütteln nur den Kopf. Der Verletzte wird abtransportiert und die Lehrer scheuchen auch uns zurück in den Turm. Wir folgen ihren Anweisungen, aber als wir wieder im Schlafsaal sind, sehen wir die roten Abdrücke, die wir hinterlassen.
An Schlaf ist nicht zu denken und es ist nicht verwunderlich, dass es am nächsten Morgen nur ein Thema gibt.
„Habt ihr die Krallenspuren gesehen?“, flüstert eine Schülerin am Frühstückstisch. Sie formt ihre Hand zu einer Klaue und tut so, als würde sie damit nach ihrem Sitznachbarn schlagen. „Fünf Furchen in der Steinwand! Was kann das nur gewesen sein?“
„Es war auf jeden Fall zu viel für einen Mystiker…“, brummt ein anderer am Tisch.
„Was sagen die Lehrer?“
„Nichts… Die Untersuchungen laufen… Konkretes gibt es noch nicht… Wir sollen uns keine Sorgen oder Gedanken darüber machen und uns lieber auf den Unterricht konzentrieren!“
Aber wie können wir uns auf den Unterricht konzentrieren, wenn so etwas geschieht? Viel wissen wir nicht, aber das eisige Gefühl in unseren Knochen ist noch immer da.
Irgendjemand, irgendetwas hat einen ausgebildeten Mystiker angegriffen und schwer verletzt… Was im Namen aller Übersinnlichkeiten kann das gewesen sein? Und was würde es nur mit Schülern wie uns anstellen, sollten wir ihm je begegnen?